Die Eltern unter euch werden es wissen: Es gibt gerade mit kleinen Kindern selten die Gelegenheit, für einen Moment mal Ich-Mensch zu sein. Erst recht, wenn man voll berufstätig ist und noch mehr, wenn die geliebte Verwandtschaft in ganz Deutschland verteilt lebt und man nirgends – auch nicht nur für ein paar Minuten oder einen Anflug von Männergrippe – die Kinder parken kann. Versteht mich nicht falsch, die Zeit mit den ihnen ist kostbar, jede Sekunde wird genossen, zelebriert und aufgesaugt, aber ich erwische mich immer wieder dabei, das Bedürfnis zu haben, für einen Wimpernschlag lang die Verantwortung abzugeben.
Vor einigen Wochen war dieser Wimpernschlag … Naja, eigentlich war es ein gefühltes Katzenleben lang. Maria hat Babysitter in Form der Großeltern organisiert, ein nettes Hotelzimmer an der Mosel gebucht und versprochen, in aller Herrgottsfrühe mit mir aufzustehen, um den Sonnenaufgang an der Moselschleife in Bremm zu fotografieren. Groß war die Vorfreude und klein das schlechte Gewissen, die Kinder „alleine“ zu lassen, um mal ein paar Stunden auszuspannen.
Wir machten uns bei besten Wetter mit dem Auto auf den Weg und durchquerten die wunderschöne Eifel. Durch den Kurort Bad Münstereifel, vorbei an den kanadisch anmutenden Flussläufen der Ahr in Blankenheim, in Rheinland-Pfalz dann für einige „Rennfahrer“ scheinbar zu langsam Richtung Nürburg (Ring) über Ulmen nach Ernst an der Mosel.
Wir checkten im Alten Pfarrhaus ein – einem kleinen Hotel unmittelbar an der Mosel. Der Blick von der Restaurantterrasse führt unweigerlich auf die umliegenden Weinberge und die gelegentlich vorbeifahrenden Frachtschiffe. Trotz Idylle und einem wunderbaren Mittagessen mit köstlichem Wein aus der Region, fällt der Blick doch immer wieder auf das Handy. Geht es den Kindern gut? Sind die Großeltern gestresst? Sind wir schlechte Eltern? Spätestens nach dem dritten Glas Wein verfliegen die Sorgen jedoch und man genießt das wunderbare Wetter, gute Speisen und die Ruhe … Die gelegentlich vorbei rauschenden Motorradfahrer kennen wir von zu Hause, die blendet man einfach aus und ist diese als Eifler gewohnt.
Vor unserer Einkehr ins Hotel sind wir zum Locationsouten nach Bremm gefahren. Dort thront weit über der Mosel ein Aussichtspunkt, dessen Parkplatz wir via Google-Maps vorher ausfindig gemacht hatten. Vom Parkplatz aus war es, in sengender Hitze, ein kleiner Fußmarsch durch den Wald, bis sich ein kleiner Vorplatz mit provisorischer Holz-Imbissbude auftat und sich dahinter ein kleines Atrium aus Bänken und Sitzmauern vor dem Landschaftspanoramaspektakel (merkt Euch das Wort für den kommenden Scrabble-Abend) reihte und zum Verweilen einlud. Der Aussichtsplatz war gut besucht, dennoch hatten wir einen tollen Platz in der Sonne und konnten neben dem unverstellten Blick auf die Moselschleife noch einige tapfere Wanderer bewundern, die bei 30°C im Schatten den Aufstieg durch die Weinberge hinauf zum Gipfel meisterten. Wir wollten am nächsten Morgen zum Sonnenaufgang wiederkommen und hofften auf das alleinige Verweilrecht an dieser Location in aller Herrgottsfrühe.
Wieder in Ernst (also dem Ort an der Mosel), schlenderten wir zweisam, mittlerweile ohne sorgenvollen Blick aufs Handy, durch den kleinen Ort und entdeckten die vielen kleinen liebevollen Details am Wegesrand. Begrünte Hinterhöfe, Gärten und Gässchen, einen kleinen Moselsandstrand, Brasilianer, die ihren ersten Kanuausflug wagten und ein Plakat mit der Einladung zur hiesigen Jungweinprobe mit Musik. Den Winzern hat – im Gegensatz zu vielen Landwirten – der brutal heiße Sommer sehr gut getan. Die Ernte war ergiebig, früher als gewohnt und man sprach schon jetzt von einem Jahrhundertwein. Weinfest? Klang hervorragend und die Abendplanung stand. Gut gestärkt vom oben erwähnten Mittagessen und mit der örtlichen Weinkarte schon per Du machten wir uns auf dem Weg zur Dorfkirche im Zentrum von Ernst. Mit dem festenVorsatz, nur ein Glas zu trinken, da der Wecker uns ja früh auf den Weg zum Sonnenaufgang schicken wollte, entschieden wir uns für verschiedene Sorten Wein damit wir durchtauschen konnten.
Auf dem kleinen Dorfplatz, eigentlich der Schulhof der Grundschule, herrschte eine wunderbar unaufgeregte Wohlfühlatmosphäre. Die Kirche, die Schule und die historischen Anliegergebäude strahlten in verschiedenen Farben und das bunt gemischte Publikum wippte wie eine harmonische Masse im Takt der Retortenmusik aus der PA, die auf einer kleinen Bühne stand. Ich schaute in die Menge und beobachtete die Menschen um mich herum. Es machte den Anschein eines großen Familienfestes. Gute und vor allem entspannte Stimmung, es wurde viel gelacht, erzählt und getanzt und man hatte unweigerlich das Gefühl, dazugehören zu wollen, ein Teil dieser Familie zu sein und den spannenden Geschichten zu lauschen … Hach wie schön perfekt (so scheint es für Außenstehende) ist das Leben doch an der Mosel.
Ich glaube es ist nicht nötig zu erwähnen, aber ich tue es dennoch: Einige Weingläser später spielte eine Kapelle aus dem Westerwald auf. Nein, keine Blasmusik oder Heimatmelodien hallten durchs Tal ,sondern handgemachtes, akustisches und nach meinem Geschmack perfekt abgestimmtes Material aus dem Hause HARD SUN drang aus der Anlage. Rock, Pop, Grunge und Folk rundete den Abend wunderbar ab und wir tranken noch einige Gläser mit dem Sänger Dirk, der mit seinem Gitarristen Tom spätestens nach meinem Wunschsong von Pearl Jam bei uns ein Stein im Brett hatte.
Der geneigte Leser ahnt, was jetzt kommt …
Nach einer Stunde Schlaf klingelte pünktlich um 4:30 unser Wecker. Nackt wie Gott uns schuf, schauten Maria und ich uns in die Augen. „Ich stehe zu meinem Wort“ murmelte Maria, die sich kurz nach meinem „Ok, ich schau mal, ob ich stehen kann“ auch aufmachte, sich anzuziehen. Auf unserem Hotelzimmer gab es Instantkaffee aus Tüten und heißes Wasser, was gemeinsam (zu meinem Leid ohne Milch) den Weg in meinen Thermosbecher fand.
Wankend (weil müde) machten wir uns mit Drohne und Kamera auf den Weg zum Auto und dann weiter zurück nach Bremm. Und: Ja, da es in der ganzen Moselgegend wohl am Abend davor diverse Weinproben/Feste gab, hatten wir den Hotspot für uns und unseren Kaffee ganz alleine! Wir drehten ein kleines Video, machten ein paar Bilder und genossen den Ausblick auf die Mosel und seine gemütlich tragende Fracht. Die Binnenschiffe,die wie kleine Würmer wirkten, die durch die Kraft der aufgehenden Sonne zum Leben erweckt wurden.
Gefühlte Stunden später und mit genug Energie vom Sonnenaufgang kamen wir so pünktlich zum Hotelfrühstück zurück nach Ernst und beschlossen, dass es sicher nicht unser letzter Besuch im Ort und auf dem Weinfest, die ja nur eine Probe war, war…
"Wir bekommen keinerlei Vergütung oder Vergünstigung für diesen Beitrag von den hier genannten Unterkünften oder Künstlern.
Das einzige, was uns bleibt, ist eine schöne Erinnerung!"
Blognotes:
Koordinaten Aussichtspunkt: 50°06’24.9″N 7°06’53.3″E
Koordinaten Parkplatz Bremm: 50°06’14.5″N 7°06’14.3″E